Das vergessene Konzentrationslager

Niš – als Schüler lernte ich den Ortsnamen in einem Atemzug mit dem dort aufgebauten Konzentrationslager. Der Besuch war aufrüttelnd, aber anders als gedacht: Der Umgang mit einem Schauplatz von Nazi-Greueltaten funktioniert in Serbien grundlegend anders.

Ein einsamer Wegweiser zum „Nazi Conc. Camp-Museum“ an einer Straße im Stadtzentrum von Niš. Er weist nach links, darunter ein Schild zum Busbahnhof. Die Straße überquert den Fluss Nišava, von hier geht es weiter geradeaus. Zumindest kündigt kein weiterer Wegweiser eine Abzweigung an. Also weiter geradeaus. Am Busbahnhof frage ich nach dem Weg. Weiter geradeaus. Dann, endlich wieder ein Wegweiser. Er zeigt vorbei an einer Eckkneipe und Autowerkstätten auf einen Parkplatz, auf dem ein Mahnmal für die bei der Befreiung gefallenen Tito-Partisanen steht. Nebenan der Bolzplatz einer Schule, auf einer Seite begrenzt durch die KZ-Mauer. Ich betrachte kurz das Mahnmal, dann betrete ich durch das mittig in die Wand eingelassene Tor den Hof des Konzentrationslagers.

  
Wenn ich die Möglichkeit dazu habe, besuche ich KZ-Gedenkstätten. Nicht, weil es meine verdammte Pflicht als Bürger des Nachfolgestaats des Dritten Reichs ist. Sondern weil ich mir vor Augen führen will, wozu es führen kann, wenn Menschen andere vorverurteilen. Sie als weniger wert einstufen. Auf sie herabzublicken beginnen. Sie diskriminieren, und am Ende der Eskalationsspirale eine ganze Generation zu Massenmördern wird. Ich will mir vor Augen führen, zu was Menschen fähig sind – angesichts der modrigen Blasen die im Sommer 2015 aus dem braunen Sumpf aussteigen, aktueller denn je. Deutschland erlebt eine Welle rechtsextremen Terrors gegen Flüchtlingsunterkünfte, dabei sollten die Schatten der Vergangenheit an Orten wie Niš bereits Mahnung genug sein.

  
Statt der beklemmenden Athmosphäre, wie sie etwa Dachau oder Buchenwald anhaftet, erwartet mich in Niš akkurat getrimmter, sattgrüner Rasen unter strahlend blauem Himmel. Natürlich trägt zu solchen Eindrücken auch das Wetter seinen Teil bei, aber der wird nach zwei Metern von einem Mülleimer mir der Aufschrift Музеј (Museum) bestätigt. Auf der ansonsten freien Hoffläche steht in einiger Entfernung rechts das Hauptgebäude, links hinter einem geparkten roten Kastenwagen eine einstöckige, u-förmige Baracke. Am Stirngiebel prangt der verblassende Schriftzug „Wache“, daneben ein Hakenkreuz und das SS-Zeichen. Von hier plärrt Taylor Swift aus einem Radio, hierher werde ich gerufen, um den Eintrittspreis zu entrichten. Ein Einzelticket kostet 150 Dinar (1,25€), für 200 gibt es eine Kombikarte mit Einlass ins Archäologiemuseum und den Schädelturm am anderen Ende der Stadt. Ich zahle, dann eskortiert mich die nette Mitarbeiterin zum Hauptgebäude. Ich sei der erste Besucher des Tages, bestätigt sie mir – und bis zum Ende meines Rundgangs sollte ich alleine bleiben.

Sie sperrt mir den Zugang zur Ausstellung auf, bei Fragen soll ich mich gerne melden. Und ich darf auch gerne ein paar Fotos machen, sagt sie mit Blick auf das Verbotsschild. Dann verschwindet sie zurück zu Zigarrette, Kreuzworträtsel und Taylor Swift in die SS-Wache. Ich schaue mir währenddessen die Ausstellung an, die nicht so recht zu wissen scheint, was sie eigentlich will. Es gibt einen Raum über die SS-Kommandatur in Serbien (Informationsgehalt: Mittel), einen über zwei Gefangenenausbrüche (historischen Ausmaßes, spannende Geschichte) und einen, der als „the authentic room“ verzeichnet ist. Stroh auf dem Boden, in einer Ecke steht eine Kanone. Warum, stand nicht daneben, In den anderen beiden Räumen informieren unstrukturierte Texttafeln, die englische Version fehlerhaft. Der erste Stock, in dem laut einem Lageplan Haftzellen zu besichtigen wären, ist gesperrt. Ich habe also bisher etwas über den Ausbruch gelernt, und dass in einen Raum früher Stroh lag.

  
Es bleiben also so einige Fragen offen, und nachdem ich im Gedenkbuch geblättert und mir die Wachtürme auf dem Gelände angeschaut habe, gehe ich zurück zur SS-Baracke. Aus einem Büro am anderen Ende des U schaut mich ein Mann verdutzt an. Die Räume mit der verblassten Aufschrift „Küche“ beziehungsweise „Waschraum“ sind verschlossen, ein anderer beherbergt mittlerweile eine Werkstatt. In der SS-Wache erhalte ich die Auskunft, insgesamt hätten 1500 Leute in das Konzentrationslager gepasst. Es sei ein Durchgangslager gewesen, viele seien nach Auschwitz weiter transportiert worden. Wie viele in den vier Jahren insgesamt inhaftiert gewesen seien? Keine Ahnung. Wie viele ermordet, könne man auch nicht sagen.

Wikipedia nennt übrigens 30.000 Insassen, von denen 12.000 ermordet wurden, die meisten auf einem Hügel in unmittelbarer Nähe. All das weiß ich noch nicht, als ich vorbei am Музеј-Mülleimer, dem Bolzplatz und der Autowerkstatt zum Busbahnhof gehe und Niš verlasse.