Bildung ändert alles. Bildung ist der Weg zu einer besseren Zukunft – individuell, aber auch für ganze Gesellschaften. Bildung ist der einzige Weg, langfristig Perspektiven in Entwicklungsländern zu schaffen. Wer die Bildung angreift, greift ein Land an seiner Wurzel an.
In Kenia ist das am Donnerstag geschehen, als selbsternannte Gotteskrieger der Al-Shabaab-Miliz die Universität von Garissa mit Blut getränkt haben. Nach offiziellen Angaben haben 147 Menschen ihr Leben verloren – es wäre nicht ungewöhnlich, wenn die von den Behörden verbreitete Zahl sich als zu niedrig erweisen würde. Der Mord an so vielen Studenten, der intellektuellen Elite eines armen und gebeutelten Landes, ist an Symbolkraft kaum zu überbieten. Wo bleibt der Aufschrei?
Das fragt auch Dan Amolo. Er lebt seit ein paar Jahren in Freiburg, verbringt jedoch nach wie vor viel Zeit in Kenia. Ich habe ihm schon mehrfach in seiner kenianischen Heimat zugehört, wie er Jugendlichen erklärt hat, dass Bildung alles ändert. Dan kommt aus einem kleinen Dorf in der Nähe des Victoriasees – hier ist er der einzige seiner Generation, der studiert hat. Aus dem fernen Breisgau hat Dan die erschütternden Ereignisse in Kenia beobachtet und seine Gedanken dazu in einem kurzen Text zusammengefasst. Ich habe Teile davon ins Deutsche übersetzt.
Es ist wahrlich eine schwere Situation: Kenia bemüht sich, im globalen Kontext wahrgenommen zu werden. Den Preis dafür zahlt die Bevölkerung. Ich sage das, weil Kenia sich stets als stabiles Entwicklungsland darstellt, das sich aktiv in globale Friedens- und Entwicklungsprozesse einbringen kann, aber die Situation vor Ort ist anders. Kenia hat nicht einmal Kapazität, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln. Essen, Bildung und Gesundheit, also die Grundlagen, stehen für die Mehrheit der Bevölkerung nicht zur Verfügung. Die obere Mittelschicht, der die Politiker und Entscheidungsträger angehören, malt ein falsches Bild – ein Bild von Wohlstand, Bildung und der Fähigkeit, in der internationalen Liga der Entwicklung und des Handels mitzuspielen.
Wir haben die besten Namen: Die Wangari Maathais, die Spitzensportler, die Obamas und so weiter; aber die meisten Kenia haben nichts von dieser Art von Publicity. Wir haben (für afrikanische Verhältnisse) eine gute Infrastruktur, wir haben gute Hotels und Konferenzzentren genauso wie weltberühmte Safari-Parks und weiße Sandstrände.
Dennoch ist der Terror allgegenwärtig: Seit die kenianische Armee 2011 unter dem Beifall vieler Kenianer in Somalia einmarschiert ist, haben die Anschläge zugenommen. Über 400 Menschen sind bisher bei zahlreichen Anschlägen gestorben, die sich vor allem auf die muslimisch geprägte Küstenregion konzentrieren. Dabei ist der Indische Ozean die wichtigste Tourismusregion des Landes – längst weichen Urlauber vermehrt auf sicherere Staaten aus.
Wen sollen wir verantwortlich machen? Natürlich uns selbst! Und wer sind wir? … Kenianer? … Wirklich? Was ist Kenia? Ein Produkt einer Geometriestunde, 1884 in Berlin. Zu Gast bei Otto von Bismarck gebaren Bleistifte und Lineale Kenia und andere afrikanische Länder. Wir waren plötzlich ein Land und wurden sofort von den Briten adoptiert. Vielleicht war es ihre Pflicht uns zu einem Land, einem Volk zu vereinen. (…)
Unsere heutige Pflicht als eigenständiges Land ist, mit unseren Entwicklungspartnern zusammenarbeiten, die einst unsere Adoptiveltern waren, bevor sie Kolonialisten und Peiniger wurden. Diese späteren Partner waren unsere Schöpfer mit Bleistiften und Linealen in Berlin. Sie machten uns mit dem auferstandenen Herrn aus der Bibel bekannt und nahmen uns im Gegenzug unseren Wohlstand, unsere Geschichte und unsere Werte. Sie sind unsere Partner. Wir müssen, indem wir ihr Manuskript benutzen, mit unseren Nachbarn klarkommen.
Wir müssen Frieden und Koexistenz sichern und die Kämpfe anderer Leute in Somalia kämpfen. So können wir beweisen, dass wir ein vertrauenswürdiges, strahlendes Mitglied der Staatengemeinschaft sind. Wir dürfen uns nicht über die Nebenwirkungen beklagen. Wir können nicht zuerst unser eigenes brennendes Haus löschen, sondern müssen das Feuer im Haus unserer somalischen Nachbarn bekämpfen. Das ist der einzige Weg, wie man vor der internationalen Gemeinschaft relevant und attraktiv wirken kann.
Das Feuer zerstört unser Haus, während wir vor der Tür nach Anerkennung suchen. Hunger, Stammesfehden, Korruption, Seuchen, Terrorismus und so weiter – Wen interessiert das wirklich?
Ähnlich wie Dan Amolo äußert sich auch der Nairobi-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Tobias Zick, der seinerseits die kenianische Anti-Terror-Politik für gescheitert erklärt. Beide sind sich einig: Kenias Politiker werden den Terror im eigenen Land nicht aufhalten können. Es bleibt jedoch fraglich, wer das tut. Kenia braucht internationale Hilfe. Mit dem Anschlag von Garissa hat der Terror in Kenia eine neue Eskalationsstufe erreicht. Der Anschlag auf die Universität trifft Kenia härter als die voran gegangenen, denn Bildung ändert alles.
Aufmacherbild: Screenshot einer Überschrift im Onlineangebot der kenianischen Tageszeitung „Daily Nation“ (7.4.2015)