Ab und an ist es mir unangenehm, mich in Israel als Deutscher zu outen. Aber ganz anders, als man erwarten könnte.
Bevor ich mich ernsthaft mit der Materie auseinander gesetzt hatte, schien es alles ganz logisch. Die Bundesrepublik Deutschland ist der Nachfolgestaat des Systems, das die Shoa hervorgebracht hat. Israel hat das unermessliche Leid der Juden in sein nationales Gedächtnis aufgenommen werden. Da erschien mir durchaus nachvollziehbar, dass man als Deutscher 70 Jahre nach Kriegsende nicht mit offenen Armen empfangen werden würde.
Das war, wohlgemerkt, bevor ich mich ernsthaft informiert hatte. Als ich vor knapp drei Wochen erstmals israelischen Boden betreten habe, wusste ich schon, dass ich mit meiner freilich etwas naiven Überlegung Unrecht haben würde. Ich wusste nur nicht, wie sehr.
Ich werde als Deutscher mit offenen Armen empfangen – darauf war ich gefasst. Es ist schön, nicht die Lasten meiner Großväter-Generation schultern zu müssen. Wie jeder junge Deutsche meines Alters trage ich Verantwortung: zu erinnern, zu mahnen, und aktiv eine Gesellschaft aufzubauen und zu erhalten, in der keine zweite Shoa oder irgend eine Art rassistischer Verfolgung möglich sein könnte.
Aber genau das ist der Punkt: Diese Gesellschaft muss erst einmal aufgebaut werden, bevor vom Erhalten die Rede sein kann. Gerade im letzten Jahr war ich immer wieder schockiert, wie tief Rassismus und Xenophobie in der deutschen Gesellschaft sitzen. Ich schäme mich, eine Nationalität mit jenen zu teilen, die lieber Häuser anzünden als deren Bewohner kennen zu lernen. Eine deutsche Flagge löst in mir eher ein instinktives Zurückweichen als patriotische Hochgefühle aus.
Klar. In vielen Belangen schätze ich mich glücklich, in Deutschland geboren zu sein. Ich bin in Sicherheit und Wohlstand aufgewachsen, und kann mich in einer pluralistischen Gesellschaft frei entfalten. Und mein deutscher Pass eröffnet mir Reisefreiheit auf der ganzen Welt. Ich will nicht undankbar sein, aber ich identifiziere mich trotzdem nicht über meine Staatsbürgerschaft.
Deshalb befremdet mich die Begeisterung, die das Wort „Germany“ in Israel auslöst. Alle loben die deutsche Wirtschaft (hallo, VW-Skandal?) und den deutschen Fußball (hallo, WM-Skandal?), vor allem aber die deutsche Kanzlerin. „Für mich gibt es aktuell zwei herausragende Staatsoberhäupter – Papst Franziskus und Angela Merkel“, sagte letzte Woche eine Gesprächspartnerin. Dass Merkel im Ausland eine riesige Strahlkraft besitzt, habe ich schon mehrfach erlebt. Ihre ungewohnt klare Haltung bei der Aufnahme von Flüchtlingen scheint jedoch eine Art Apostheose bewirkt zu haben. Mutti schwebt über allem, scheint es. Dass so mancher Pegidist die Mutti am liebsten aufhängen würde, scheint international weniger Beachtung gefunden zu haben. Das Dunkeldeutschland ist zumindest für mich aus der Ferne besser sichtbar als die dringend gebrauchte „Wir schaffen das“-Einstellung. Alles nicht so rosig in „Germany“…
Mir ist die überschwängliche Schwärmerei, die das Wort auslöst, also nicht nur suspekt, sondern regelrecht unangenehm. Bei Menschen, die ich eh kein zweites Mal sehen werde, bin ich dazu übergegangen, mich als Österreicher vorzustellen. Das erntet zwar immer noch wohlwollendes Nicken, meistens fehlt meinem Gegenüber allerdings das Hintergrundwissen, und schon verlagert sich der Smalltalk auf ein anderes Thema.
Eher amüsant finde ich hingegen, dass in Israel so gerne Oktoberfest gefeiert wird. Das ist letztendlich nicht merkwürdiger, als wenn in ein paar Tagen die Kinder in Deutschland „Süßes, sonst gibts Saures“ rufen. (Okay, ich habe mit Helloween nichts am Hut und mit dem Oktoberfest noch viel weniger. Aber jeder nach seiner Facon…) In Tel Aviv kamen uns neulich schon Dirndl und Trachtenhemd entgegen, am Dienstag in Be’er Sheva war es dann ein riesiges Werbeplakat an einer Hauptstraße:
Oktoberfest und Merkel sind nur zwei Beispiele von vielen. Es ist nicht allzu vermessen, zu behaupten, dass Deutschland bei den meisten Israelis ziemlich hoch im Kurs ist. Die, denen Tel Aviv nicht mehr Hipster genug ist, wandern nach Berlin aus. Und ganz ehrlich, ich kann verstehen, dass hier einige Menschen die Hoffnung auf Frieden verlieren und irgendwo anders ihren Frieden suchen. Deutschland ist, das will ich auch nicht in Abrede stellen, als Zielland sehr attraktiv. Trotzdem geht es mir besser, wenn ich es differenziert betrachte.