Die neu entflammte Gewalt in Israel zielt immer wieder auf Busse. Die Bewohner von Jerusalem haben keine Angst, sagen sie. Misstrauisch sind sie trotzdem.
Ariel hält sich am Sitz seines Vordermannes fest, im selben Moment sticht er hinterrücks zu. Das heißt, er tut nur so, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. „Man muss wachsam sein, wenn man heutzutage Bus fährt.“ Man könne jederzeit von hinten attackiert werden, sagt Ariel, der eigentlich anders heißt. „In diesen Tagen reichen zwei Augen kaum, besser wären vier.“ Trotzdem habe er keine Angst, den Bus zu nutzen. Für Ariel gibt es eine einfache Erklärung für die Gewalt: „Weißt du, wir wollen nur den Frieden, aber die wollen immer mehr. Die wollen ganz Jerusalem.“
Mit „die“ meint er die palästinensischen Jugendlichen, die seit Anfang Oktober Israel zum Zittern bringen. Niemand weiß, wann und wo das nächste Messer sticht, die nächste Kugel fliegt. Dass die meisten Angreifer erschossen und ihre Familien gleich mit bestraft werden, hält jene, die oft nicht älter als Anfang 20 sind, offenbar nicht ab. Ihre Väter hatten noch die Hoffnung, dass das Abkommen von Oslo die Lebensumstände der Palästinenser verbessern würde. Die junge Generation wurde hingegen in eine Zeit hineingeboren, in der Oslo immer weiter in die Bedeutungslosigkeit abgedriftet ist. Diese Frustration schlägt zunehmend in Hass und schließlich in Gewalt um.
Zwischenzeitlich fuhren 30 Prozent weniger Leute Bus
Wie vor knapp drei Wochen im Jerusalemer Stadtteil Talpiot: Bus Nummer 78 war gerade losgefahren, als die beiden jungen Männer von ihren Sitzen aufsprangen. Unter einem „Allahu Akbar“-Schrei – „Gott ist groß!“ – zückte einer ein Messer, der andere eine Pistole. Sie stürmten stechend und schießend auf die Fahrgäste los, töten dabei zwei Menschen, verletzten mindestens sieben weitere. Bis ein Sicherheitsmann auf beide schoss und den Angriff beendete. Fast gleichzeitig raste ein weiterer Attentäter im Stadtteil Geula in eine Gruppe Menschen, die an einer Bushaltestelle warteten. Und in Raanana bei Tel Aviv stach ein Angreifer einen Mann nieder – ebenfalls an einer Haltestelle.
Solche Nachrichten verbreiten sich in Windeseile, von vielen Anschlägen kursieren brutale Videoaufnahmen im Netz. Bei jeder Attacke auf Busse kommen die Erinnerungen an die Zweite Intifada hoch, als der Nahverkehr immer wieder Ziel von Selbstmordattentätern war. Kurzzeitig zählte das Unternehmen Egged, das auch die Stadtbusse in Jerusalem betreibt, 30 Prozent weniger Fahrgäste. Die Menschen, die Bus fahren, mustern ihre Mitfahrer kritisch oder aber vermeiden absichtlich jeden Blickkontakt. Gesprochen wird kaum. „Plötzlich spürt man, dass das in jedem Bus passieren könnte“, sagt Ofer Zalzberg. Er analysiert für die Nichtregierungsorganisation International Crisis Group seit 2010 die Entwicklungen des Nahostkonflikts. „Es unterbricht die Routine der Leute“, erklärt Zalzberg. „Sie gehen seltener vor die Tür, nehmen seltener den Bus. Viele laufen oder fahren Taxi, wenn sie es sich leisten können.“ Wie sich die Lage weiter entwickelt, ist schwer vorherzusagen. Ofer Zalzberg befürchtet jedoch: „Ein Szenario ist, dass die Attacken weniger werden, dafür aber immer brutaler.“ So wie am vorvergangenen Sonntag in der Wüstenstadt Beer Scheva, wo ein Beduine am Busbahnhof um sich geschossen hat. Die Ermittler vermuten mittlerweile eine Verbindung zur Hamas. „Je stärker sich radikale Organisationen wie die Hamas beteiligen, desto mehr Waffen sind im Spiel“, sagt Zalzberg. „Es geht immer mehr um einen tödlichen Ausgang.“