Wie die Menschen in Israel auf den Terror in Paris reagieren

Schon wieder Terror, schon wieder Paris. Bang und entsetzt verfolge ich die Entwicklungen aus der Ferne. Über deutsche Medien, aber auch über israelische. Dabei ist mir ein Aspekt besonders aufgefallen.

Natürlich gehört zu jeder subjektiven Beobachtung die demütige Erkenntnis, dass mich immer nur ein nicht repräsentativer Ausschnitt eines Meinungsspektrums erreicht. Differenzierung und besonnene Abwägung ist in Zeiten, da fanatischer Extremismus die Leben von mehr als 120 Menschen jäh beendet, die zur falschen Zeit am falschen Ort unbeschwert ihr Leben genießen wollten, wichtiger denn je. Aber mir ist bitter aufgestoßen, wie viele (deutsche) Internetuser die Anschläge schon zu populistischer Hetze missbrauchten, während sie gerade erst geschahen.
In Deutschland folgt dieser Spin allem Anschein nach dem bewährten Argumentationsmuster „Da habt ihr Gutmenschen mit eurer Willkommenskultur den Salat“. Das schockt mich. Die Narrative stellt einen absurden Zusammenhang her – ist es doch genau dieser islamistische Terror, weswegen in diesem Jahr so viele Menschen ihre Heimat aufgegeben haben um in Europa Schutz zu suchen.
Eine Verbindung zur Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) wurde ja bereits in der Blutnacht eifrig diskutiert, mittlerweile hat sich der IS zu den Anschlägen bekannt. Absurd ist es da, wie eine Aktivistin aus Gaza die Nachricht für ihre eigene Agenda missbraucht, in dem sie eine israelische Beteiligung nahelegt:

Aber das ist wieder – und das ist der eigentliche Punkt, der mich schockiert – nicht absurd genug, um nicht von israelischen Medien links liegen gelassen zu werden. Der Tweet ist Propaganda, kann aber genauso leicht als Gegen-Propaganda gegen die Kredibilität des palästinensischen Volkes missbraucht werden. Der konservativen Jerusalem Post ist die Äußerung eine ausführliche Online-Nachricht wert.


Klar, beides ist durch die freie Meinungsäußerung beziehungsweise Pressefreiheit gedeckt und sollte das auch unbedingt sein. Aber solange aus Mücken Elefanten gemacht werden; solange es politisch opportun ist, können sich die Fronten in diesem Konflikt immer nur noch weiter verhärten.
Israelische Medien setzen in ihrer Auslandsberichterstattung gerne einen jüdischen Fokus – das ist recht leicht mit der israelischen Staatsräson zu erklären. Jüdische Beteiligung an einem Vorfall irgendwo in der Welt ist für sie ein Nachrichtenfaktor im journalistischen Sinne. (Das schreibe ich im Sinne einer wertfreien Beobachtung von außen.) Unter diesen Voraussetzungen ist die Nachricht, die Pariser Konzerthalle habe jüdische Inhaber, ganz normales journalistisches Handwerk.

Die Querverbindung, das Bataclan könnte wegen seiner jüdischen Inhaber als Anschlagsziel ausgewählt worden sein, ist allerdings eine ziemlich windige Spekulation – zumal sie sich ungeachtet der tatsächlichen Ereignisse auf eine veraltete Aussage einer anderen Terrorgruppe beruft. Solange in diesem konkreten Fall keine Indizien dafür vorliegen, sollte man keinen Antisemitismus dazu dichten. Für mich lesen sich solche Nachrichten einmal mehr wie der gefährliche Versuch, außenpolitische Ereignisse innenpolitisch umzudeuten.

Manche Israelis sind recht schnell dabei, sich international diskriminiert zu fühlen, und so erkennen auch bei Facebook einige eine Ungleichbehandlung. Für Paris hatte das Netzwerk in der Terrornacht seine Funktion freigeschaltet, mit der Nutzer posten können, dass sie in Sicherheit sind. Ich habe jetzt schon mehrere Posts wütender Israelis gesehen, die diese Funktion im Gazakrieg vor einem guten Jahr vermisst hatten. Andere sprechen über die Funktion, mit der man sein Profilfoto Blau-Weiß-Rot einfärben kann – und kritisieren, dass es diese Form der Solidaritätsbekundung nie für Israel gegeben hat. Die Kritik wird mit Gleichberechtigung begründet. 

„I posted my France profile pic in honor of those lost. But I hope this one takes off. Attack after attack and Israel gets no love. Now, I changed my profile pic to honor what we go through 24/7. If you get the app „fused“ you can create your own pic with the flag of Israel over-layed. Let’s show our support for what our country is dealing with. Make me proud.“ (aus einem Facebook-Post am 14. 11. 2015)

#israel_stands_with_paris
#israel_stands_with_paris #JeSuisParis

Posted by Citacam on Saturday, November 14, 2015

 

Weiter oben in diesem Text habe ich Differenzierung eingefordert. Deshalb ist es mir wichtig, darzustellen, dass auch diese Beispiele nicht repräsentativ für ein ganzes Land sind. Es überwiegen die Kondolenz- und Solidaritätsbekundungen. Benjamin Netanjahu sagt, Israel stehe „Seite an Seite“ mit Frankreich im Kampf gegen den Terror, und bietet geheimdienstliche Hilfe an. Auf Facebook äußern viele Menschen ihre Bestürzung und Anteilnahme. In Tel Aviv schließen sich am Samstagabend Bürger zu einem Solidaritätsmarsch zusammen. Auch der französische Botschafter hat sich angekündigt.

Und, das sei auch noch gesagt: Es sind bei weitem nicht nur israelische Journalisten, die mitunter absurde Querverweise in die Welt hinaus schicken. Am verstörendsten fand ich dann doch den fast schon hämischen Post Matthias Matusseks, von dem sich sogar sein eigener Chefredakteur distanziert hat: