Glanz und Verfall

Die Nächte sind noch bitterkalt, aber die Kirschbäume blühen in voller Pracht. In Deutschland haben sie ihre schneeweiße Zier bereits abgeworfen, aber hier in Böhmen muss sich die Vegetation im April noch gegen den nächtlichen Raureif durchsetzen. Doch die Sonne kriecht bis in den letzten Winkel und treibt den Winter sogar aus dem trostlosesten Flecken aus.

Weniger als vierzig Kilometer hinter der deutsch-tschechischen Grenze liegt Konstantinovy Lázně, zu deutsch Konstantinsbad. Die böhmische Kleinstadt schaut auf eine mehr als zweihundertjährige Geschichte als Kurbad zurück, bereits im 16. Jahrhundert wurden die schwefelhaltigen Heilquellen entdeckt. Der neu gegründete Ort wurde nach Graf Konstantin von Löwenstein, der vom benachbarten Weseritz aus die Region regierte. Konstantinovy Lázně beherbergt noch immer einen angesehenen Bäderbetrieb – Weseritz, zu deutsch Bezdružice, lässt den Glanz vergangener Tage nur noch erahnen.

Ein Haus in Bezdružice © David Ehl
Ein Haus in Bezdružice

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die deutschen Einwohner in die Oberpfalz vertrieben – Weseritz verlor zahlreiche Bürger und somit das Stadtrecht. Mittlerweile leben in Bezdružice wieder etwa 1000 Menschen und das Stadtrecht wurde wiederhergestellt, doch den Glanz früherer Tage sucht man vergebens.

Die Hauptstraße von Bezdružice © David Ehl
Die Hauptstraße von Bezdružice

Eine trostlose Aura liegt über dem Ort. Die Straßen sind wie leer gefegt. Von den Häusern bröckelt der Putz. Große, grimmige Hunde gebeten mit alertem Gebell, nicht näher zu treten. Zum Glück halten mehr oder weniger stabile Zäune ihre Zähne von der Straße fern. Das einstige Schloss des Fürsten Konstantin wacht hinter einem verschlossenen schmiedeeisernen Tor über die Stadt. Alle zwei Stunden verbindet ein alter Schienenbus Bezdružice mit Pňovany und somit mit der Zuglinie nach Cheb, Pilsen und Prag. Eine Gaststätte gibt es in der Stadt nicht, ebenso wenig ein Hotel. Ein kleiner Supermarkt versorgt die Bewohner mit dem Nötigsten. Davor die Dorfjugend: Jungen in Trainingsanzügen oder Flecktarn, Mädchen in Hotpants und Tops in schrillen Neonfarben oder Leopardenmuster. Von Bezdružice aus ist die Welt weit entfernt; nur alle zwei Stunden rückt sie etwas näher.

Die Hauptstraße und das Schloss von Bezdružice © David Ehl
Die Hauptstraße und das Schloss von Bezdružice

Kaum zu glauben, dass sich dieser Ort nur vier Kilometer nördlich vom prächtig herausgeputzten Konstantinovy Lázně befindet. Kaum zu glauben, dass in einem fortschrittlichen EU-Land, unweit der deutschen Grenze, Wohlstand und Verfall so nah beieinander liegen.

Ein Häuschen vor einer alten Fabrik in Bezdružice © David Ehl
Ein Häuschen vor einer alten Fabrik in Bezdružice