Zwischen Angst und Normalität: Bus fahren in Jerusalem

Mehr Fahrgäste? Die Meinungen der Taxifahrer gehen auseinander

Auch vor dem Zentralen Busbahnhof in Jerusalem hat eine Attacke stattgefunden: Hier hat ein Palästinenser auf eine Israelin eingestochen, bevor er von Sicherheitskräften erschossen wurde. Knapp zwei Wochen später geht alles seinen gewohnten Gang. Viele gehen gebückt und blicken zu Boden, um nicht in eines der milchigen Rinnsale zu treten, die der Oktoberregen auf den Asphalt ergießt. Die vorbei eilenden Passanten schauen grimmig, weil es regnet. Die Soldaten schauen grimmig, weil es ihr Job ist. Am Taxistand auf der Jaffa Street vor dem Gebäude stehen die Autos geordnet hintereinander. Zur Sicherheitslage in Jerusalem sind die Fahrer unterschiedlicher Ansicht: „Ich habe gerade deutlich mehr Fahrgäste“, sagt einer. „Sie sagen, dass sie Angst vor Messern, Pistolen und Bomben haben.“ Ein anderer entgegnet: „Bei mir fahren weniger Leute mit, weil sie vor Angst nicht mehr auf die Straße gehen.“ Es dauert nicht lange, bis ein junges Paar mit Trekkingrucksäcken in sein Taxi einsteigt. Die meisten Menschen überqueren jedoch die Straße, um von der anderen Seite aus einen Bus in die Innenstadt zu nehmen. Viele Passagiere sind nur eine kurze Zeit im Bus, die Fahrer hingegen über Stunden. „Ich habe keine Angst“, sagt der Fahrer der 32 in Richtung Mount Skopus, der im palästinensischen Osten der Stadt liegt. An einer Ampel kramt er ein entwertetes Ticket aus dem Papierkorb hervor, zückt einen Kugelschreiber und malt bedeutungsvoll die Zahl eins auf. „Sagen wir,  pro Woche stirbt ein Mensch bei einem Anschlag auf einen Bus.“ Er malt eine Zwölf darunter: „So viele Menschen sterben ganz normal bei Autounfällen. Es ist also immer noch sicherer, Bus zu fahren.“ Zwei Haltestellen später, zwei Reihen hinter dem Fahrersitz des Busses: „Man hat immer Angst, aber gerade etwas mehr“, erzählt ein Mann um die 40 mit gehäkelter Kippa. Er selbst auch? „Nein, eigentlich nicht. Man muss nur aufmerksam sein, denn es kann überall passieren.“ Das ist das Perfide an der aktuellen Situation: Die Attacken werden offenbar von keiner Organisation zentral gesteuert, sondern einzeln und willkürlich begangen. Es gibt also kein Muster, das man auswerten könnte. Das macht es für die Sicherheitskräfte umso schwieriger.

Mit dem Knüppel am Lenkrad

In Jerusalem kommt man sich dieser Tage vor wie am Set eines Kriegsfilms. An den Haltestellen der Linie 19, die von Ost- nach Westjerusalem fährt, stehen mitunter mehr Soldaten als Zivilisten. Die Armee hat kürzlich noch einmal ihre Präsenz in der Stadt erhöht. Maschinengewehre gehören so selbstverständlich zum Stadtbild wie der hellbeige Stein, aus dem Jerusalem gebaut ist. Mit schweren Betonwürfeln hat die Armee im palästinensischen Osten der Stadt ganze Straßenzüge abgeriegelt. Um Auto-Attacken auf Bushaltestellen wie in Geula vorzubeugen, sieht man vor einigen Wartehäuschen massive, hüfthohe Stahlpoller. Auf Geheiß des Bürgermeisters tragen auch viele Zivilisten ihren Revolver am Gürtel.

Im Internet kursiert das Foto eines Busfahrers der Linie 1, der hinter dem Steuer aus Angst vor Übergriffen einen hölzernen Knüppel dabei hat. Seine Strecke führt vom Busbahnhof bis zur Klagemauer und wird besonders von gläubigen Juden genutzt. An diesem Tag sind nur wenige Fahrgäste unterwegs, und der Mann am Steuer gibt gerne Auskunft über seine Strecke. Auf seinen Kollegen mit dem Knüppel angesprochen, kann er plötzlich kein Englisch mehr.